In den letzten Tagen hat es viel geregnet. Nicht durchgängig, aber doch immer wieder. In den wenigen Stunden, da es aufhörte, war die Luft so feucht, dass nichts die Möglichkeit bekam zu trocknen.
Morgens erwachte ich in klammen Betten. Kalte Füße klatschten auf kalten Holzbohlen, das T-Shirt musste erst durch Körperwärme auf eine angenehme Temperatur gebracht werden. Draußen in den Rinnsteinen entwickelten sich kleine Bäche, die in den Senken der Straßen allmählich zu Seen wurden. Es war ein Wetter zum Goldfische aussetzen.
Und doch mussten die Paulista dankbar sein. Denn die Stadt braucht den Regen. Anfang des Jahres erschöpften sich bereits wiederholt die Wasserreserven oben um Cantareira, was nicht nur ein Problem für das Trinkwasser bedeutete, sondern auch für den Strom. Knapp 75% der Elektrizität Brasiliens speist sich aus Wasserkraft. Manchmal flackert das Licht im Zimmer, dann fällt das Internet für fünf Minuten aus und der Kühlschrank beginnt zu surren.
Schon werden die tiefer liegenden Grundwasserreserven angezapft. Es ginge noch tiefer, sagt man, doch Umweltschützer warnen eindringlich davor. Daher denkt man über die 2/5-Regelung nach: zwei Tage Wasser, fünf Tage keins. Schwer auszumalen für eine Stadt mit knapp 20 Mio. Einwohnern.
Ein Problem ist, dass viele Leitungen leck sind. Ein Großteil des benötigten Wassers versickert bereits vor seinem Zielort im Boden. Wie bei so vielen Projekten in Brasilien, deren Eröffnung furios und groß gefeiert wird, wurden auch die Wassernetze irgendwann sich selbst überlassen. Bauen wird hier groß geschrieben. Instand halten nur selten. Die Hochbahn, die Flughafen und Zentrum zur Fußball Weltmeisterschaft 2014 verbinden sollte, ist noch immer eine Baustelle. Nackte Betonköpfe, aus denen Metallstangen ragen. Unwahrscheinlich, dass das Projekt zu Olympia beendet sein wird. Die gesamte Infrastruktur São Paulos ist wie ein verkalktes Adersystem kurz vor dem Infarkt.
Und doch funktioniert das Leben in Sampa. Vielleicht etwas langsamer als es ginge, vielleicht sogar deutlich langsamer. Stur und ehern beharren die Menschen auf ihr Recht auf ein gutes Leben.
Doch diese Sturheit, die mitunter so viele Blüten trägt, birgt gleichzeitig die größte Gefahr der Stadt. Niemand ist hier ernsthaft bereit Kompromisse zu machen. An erster Stelle steht stets das eigene Wohl. Das Streben nach dem Bestmöglichen in jeder Schicht ist durchaus zu beneiden, bedingt aber auch, dass Vieles dem Nächsten geneidet wird. Man im Streben für sich selbst die anderen vergisst.
Es gibt ein stilles Misstrauen untereinander. Gegenüber allen, die nicht zum direkten Umfeld gehören, allen voran die Regierung.
„Wasser sparen, klar, aber doch nicht, wenn der Nachbar von unten nicht mitzieht!“
„Fahrrad fahren, klar, aber doch nicht bei so vielen Autos in den Straßen!“
Rücksicht und Verantwortung, wie lernt man das? Dass das Wohl jedes Einzelnen auch das eigene Wohl begünstigt?
200 Jahre lang wuchs São Paulo rasant. Wurde groß und bedeutend, prosperierte, ist heute eine der fantastischsten Städte Südamerikas. Wahrscheinlich sogar der Welt.
Sie legt ein Tempo an den Tag, dass einem schwindelig werden kann.
Das hat zu einer unvergleichlichen kulturellen Vielfalt geführt, aber auch zu Spannungen. Denn unter all dem Wandel fehlten die Konstanten.
Und so bleibt am Ende doch etwas von der Bedrohung der Stadt. Vielleicht, weil sie zeigt, was der Mensch alles erreichen kann. Wie er mit Macht alles erobert, das er besitzen will. Und vielleicht ist es gut, wenn São Paulo sich selbst ein langsameres Tempo zulegt. Denn wer sich permanent selbst überholt, kriegt sich irgendwann nicht mehr ein.