1. Oktober, Panama City
Zum ersten Mal seit meine Mutter mir vor knapp fünfzehn Jahren in einem Wahn von Erziehung die häusliche Pflege nahe legen wollte, habe ich wieder ein Bügeleisen in der Hand. Ich habe mich in einem sehr guten Hotel eingemietet, den Besitzer habe ich vor einiger Zeit beim abendlichen Weintrinken kennen gelernt, zum Abendessen möchte ich fein aussehen. Ich habe kein Bügelbrett, nur den blanken Fliesenboden, was die Arbeit nicht erleichtert. Dazu schwitze ich, aber ich werde mich duschen, mit Shampoo und allem, und am Ende werde ich sehr gut aussehen und wohlriechen.
Mein Bett ist creme-weiß bezogen und breiter als ich lang bin. Ich wohne im Dachgeschoss, mit Zugang zur Dachterrasse mit Blick über ganz Panama City, Fernseher, Sky-Receiver, Regenwalddusche im Bad.
Bis eben habe ich Fußball mit ein paar panamäischen Jungs gespielt: Schwarzgebrannter Beton, Tore aus Stahlrohr, Netz aus Fischernetz, das Spiel hart und kleinlich, mit der Dauer immer unfairer, nebenan marschierte eine Militärsabteilung in Uniform. Man trug Barfuß, manche Schuhe, zwei Jungs teilten sich ein Paar, einer links einer Rechts, irgendwann mahnte man uns, T-Shirts anzuziehen und zu einem gewissen Zeitpunkt, bevor ich den Übeblick verlor, führte mein Team mit zwei Toren. Jetzt ist mein Hemd fertig gebügelt und ich trinke Chimay auf der Dachterrasse. Ich habe Maracujas gekauft, und Ziegenkäse. Ich bin gespannt, wie das wird am Amerikanischen Zoll, wenn man meinen Reisepass inspizieren wird, all die Reisen zwischen Kolumbien und Panama, man meinen Bart genau anschauen wird und ich auf die Frage was ich dort gemacht habe, antworten werde, ich hätte auf einem Schiff gearbeitet. Ich höre Hunde und Autos und Kinder und eine große Panansonic-Leinwand wirft Werbung über die Skyline. Lichter spiegeln sich in der Bucht. Mittlerweile ist es dunkel, auf einer Halbinsel wird ein Feuerwerk abgebrannt.
Ich lehne mich über die Terrassen-Brüstung und schaue hinunter auf das Treiben des Szene-Hostels unter mir. Es gibt dort einen Außenbereich mit lauter und hipper Musik und lauter hippen Menschen und direkt dahinter, hinter der Mauer mit dem Elektrozaun, liegt ein Mann auf einer Pappe und schläft. Daneben döst ein Hund in einem Hauseingang. Zwei Damen passieren ihn schnellen Schrittes, ausgehfertig.
Ich stehe auf der Dachterrasse eines Hotels in einer Stadt, die ich nicht verstehe, die von Banken und Großkonzernen beherrscht wird, die pulsiert zwischen Armut und Wehmut und Reichtum und Fernweh, in deren steinernen Ritzen Pflanzen wachsen, in deren düsteren Schatten Menschen schlafen und deren Facetten so schwindelerregend scharf sind, dass es in meinem Kopf rauscht.
2. Oktober
Ich frühstücke sehr früh, denn ich will einen Spaziergang machen, bevor mein Flug um 15 Uhr Panama verlässt. Draußen findet der Aufbau zu den Dreharbeiten eines Musikvideos statt. Neben mir sitzt ein junger Mann mit bernsteinfarbenen Kontaktlinsen, der von kundiger Hand geschminkt wird. Die Belegschaft ist sehr aufgeregt, man kommt und macht Fotos.
Der junge Mann heißt Kael, nennt sich aber Alberto, obwohl er früher Alan hieß und ist ein aufgehender Stern am panamäischen Raggaton-Himmel. Er ist sehr freundlich, sein Gesicht ist makellos, sein Körper wohltrainiert. Dann wird er herausgerufen, man dreht einen Rappart vor dem Hotel, oben in seinem Zimmer sitzt eine Schönheit auf seinem Bett und wartet darauf, sich mit ihm durch die frisch gewaschenen Laken zu wühlen.
Ich esse auf und mache meinen Spaziergang.
Ein Schulklasse tobt über den Sportplatz an der Küste, im Theater probt das mittelamerikanische Jugendorchester den Sacre du Printemps von Stravinsky, an der Promenade steht ein einsamer Mann mit einem blauen Sonnenschirm und spielt Trompete. Ein Auto, kaum noch fahrtüchtig parkt vor einer halb zusammengefallenen Holzlattenfront, ein paar Meter weiter steht ein alter Mann hinter einem rostig vergitterten Hauseingang. Als ich ihn Frage, ob ich ihn fotografieren darf, macht er eine sehr stolze Haltung. Man warnt mich, hier nicht mehr weiter zu gehen, ab hier werde es gefährlich. Eine Frau in einem Treppenhaus ohne Treppe, ein Spielplatz, schimmelnder Putz, zerstörter Maschendraht. Auf einer Wand steht: lache, träume, singe immer.
Als ich zurückkomme, probt Kael mit seiner Crew im Hotelzimmer. Ich schaue ein wenig bei den Dreharbeiten zu. Auf dem Bett liegt ein Herz aus Rosen, eine Champagnerflasche auf dem Schreibtisch, man dreht eine innige Umarmung mit der Schönheit. Ich packe meine Sachen, mache mich auf den Weg zum Flughafen, wo ein Flugzeug auf mich wartet, dass mich nach Deutschland bringen wird.
Das schönste am Reisen ist immer das Heimweh. Was nimmt man dafür nicht alles in Kauf? Denn wo die Liebe einst hinfiel, da steht sie auch bald wieder auf.