19 – Vom Zähneputzen

4. September, Carti, San Blas

Ich sitze auf der Rah des Fockmastes und putze mir die Zähne. Von Carti Sugdup scheinen die Lichter herüber. Tief unter mir schlagen die Wellen gegen den Bug.
Zähne putzen hat für mich immer etwas Heiliges, ein Ritual, das dem Tag seine Grenzen weist. Die kreisende Bewegung des Dr. Best Schwingkopfs, der beständige Schrubb-Sound, der ewig gleiche Ablauf haben etwas meditatives. Es sind Minuten, in denen man gezwungen ist zu schweigen.
Meine Rechte hält sich fest in der Takelage. Wenn ich ausspucken will, muss ich mich weit nach vorne lehnen, um das Wasser zu treffen.

Nur einmal, als ich im Schrebergarten der Familie eines Freundes Laub harkte, habe ich etwas Ähnliches erlebt. Der Sommer war vorbei, der Herbst zeigte sich von seiner trüben Seite, und ich stand da, die Harke in der Hand, immer die gleichen monotonen Bewegungen vollführend, und war grund- und ziellos und damit mit alle Berechtigung glücklich. Nur selten bleibt die Zeit stehen. Dabei ist es nicht die Zeit, die stehen bleibt, sondern man selbst. So oft ist man da, wo man hin wollte, bevor man weiß, wo das liegt. Und schon weg, bevor man angekommen ist.
Die großen Momente sind nicht die, in denen Großes geschieht, sondern die, in denen man innehält. Oder wie Oma immer sagte: Der Wein schmeckt erst zwischen den Schlucken.
Die Kinder von Carti nennen mich Tio Mono. Sie sind die Piratas, die über das Deck rennen, Süßigkeiten schnorren und Kochlöffel stehlen. Man kann sie hoch in die Luft werfen , dann lachen sie, und man kann sie jagen und scheuchen und Blödsinn mit ihnen treiben. Nur die kleineren haben manchmal Angst vor meinem Bart und meiner weißen Haut.
Wenn wir vor Carti liegen, ist das Schiff stets voll mit Menschen. Alles ist laut und unübersichtlich und voller Leben. Jonathan hilft mir beim Kartoffeln schälen, Aronsito kriecht unter dem Tisch umher und Ingrid hat die Duschbrause entdeckt, mit der sie allerhand Schaden anrichtet. Die Mädchen lieben es, einen so lange zu ärgern, bis man sich ihnen zuwendet und sie schreiend davon laufen können. Der Kapitän und die Älteren sitzen am Tisch in der Messe und trinken Rum.
Ich leichter Film liegt jetzt über dem Nachthimmel, der die Sterne zum Verschwimmen bringt. Ich putze schon viel zu lange. Schrubbt man zu intensiv, kann sich der Zahnschmelz abtragen. Ich weiß das, weil ich bei meinem Zahnarzt sehr gut aufgepasst habe.
Ich stecke mir die Zahnbürste in die linke Backe, lege beide Hände an die Takelage und klettere hinab. Die Lichter von Carti Sugdup werfen lange Schatten. Dahiner schlafen die Piratas und ersinnen neue Abenteuer.