Gegen Ende der Reise, Coco Bandero
An meine Ur-Großmutter erinnere ich mich nur noch wenig. Häufig saß ich auf ihrem Schoß, sie trug eine rote Strickjacke mit verschiedenen Broschen, an denen ich herumspielte und deren dunkles Funkeln mich bezauberte. Zur Straße hinaus lag der Vorgarten, dessen dichter Tannenbestand den Fenstern das Licht raubte, und Große Mutter (so nannten wir sie) stand oft dort und schaute hinaus, die Passanten zu beobachten, während sie sich unablässig und gedankenverloren über die eigenen Handrücken strich. Sie war so heilig, wie sie da stand. Ihr weißes Haar war stets wie eine Krone zu einem Dutt gebunden.
Am Rande von Kuna Yala, geschützt von zwei großen Außenriffen, an denen sich Haie und Papageienfische küssen, liegt das Insel-Archipel Banedup. Vier kleine Inselchen, Palmen darauf, Blumen, die aussehen, als schmilzen sie in der Sonne, ein paar Pelikane, Seesterne. Eine der Inseln trägt eine Bambushütte, eine weitere wird von zwei alten Damen bewohnt. Hier lebt Rosalinda, die Herrscherin der Palmenplantagen.
Rosalinda trägt die bunte Tracht der Kuna: Rotes Kopftuch, Arme und Beine mit breiten Perlenbändern versehen, bestickte Mola, ein Nasenring durch das Septum. An den Seiten ihrer Augen kräuseln sich die Falten. Ihre Eckzähne sind vergoldet, sie treibt gerne Scherze und sie lacht laut, wenn ich sie bei den Hüften packe und ein Stück durch die Gegend trage, und manchmal stiehlt sie Sonnenbrillen und sie nennt mich Nonsuidi, was Glatze heißt. Wenn sie Geschenke verteilt, tut sie es mit aller Güte die einem Menschen zuteil werden kann. Sie sagt dann, man sei ihr Anai, was Freund heißt, und man weiß, dass sie es so meint.
Ihre Hände sind so alt wie der Wind. Sie ist ehern und fröhlich und ich möchte ihr Gesicht auf der Innenseite meines Kopfes verstauen, um es immer wieder hervor zu holen, wenn ich einmal das Gefühl habe, etwas sei nicht gut so wie es ist.
Ich habe mehrfach versucht, Rosalinda in Worte zu fassen und ich finde, es ist mir immer noch nicht geglückt.
Einfach gesagt, sie ist eine Königin.
Eine Königin, wie Große Mutter sie war, wenn sie am Fenster stand und nach draußen schaute und sich zeitlos und besonnen über die Handrücken strich und dabei eine Zufriedenheit ausstrahlte, die einen alles andere vergessen ließ.