13 – Halbzeit

7. August, vor den Cayos Limones, San Blas

Wir essen sehr reichhaltig. Linsen, Fleisch und viel Obst. Wir liegen vor den Cayos Limones, links die Isla Elephante und ein Wrack. Nachts weckt uns manchmal der Regen. Das Schiff dreht sich stets in den Wind, und da der Wind aus Osten weht, liegen wir gegen den Sonnenaufgang. Vor uns nur die kleine Insel mit dem ehemaligen Kokainglücklichen darauf. Am frühen Morgen sieht man ihn manchmal als dunklen Schatten im knietiefen Wasser nach Langusten jagen.
Vor etwa drei Wochen hat man vor Coco Bandero drei Pakete Kokain gefunden. Sie wurden schlicht an den Strand gespült. Das hat uns Aron erzählt, der immer mal wieder vorbei schaut. Es muss kurz nach unserer Abreise gewesen sein. Ich ärgere mich ein bisschen, dass wir das Kokain nicht selbst gefunden haben, und gleichzeitig bin ich froh, denn die Risiken und Bedeutung des ganzen kann ich mir wahrscheinlich nur vage ausmalen.
Über uns der Himmel ist auf angenehme Weise bewölkt. Hin und wieder hören wir die kleinen Propellerflugzeuge im Landeanflug auf Povenir, wo sie reiche Panamenos absetzen, die zu ihren Yachten wollen. Sie alle tragen Polohemden und Goldkettchen und Leinenhosen und einen feinen Wohlstandsbauch über den Hüften.
Mehrmals täglich kommt Kantule vorbei, um zu rauchen und Bier zu trinken, oder eine Cola.
Neulich habe ich mir sein Einbaum geliehen, um zu einem der inneren Riffe zu paddeln und dort zu schnorcheln. Das Kanu war schwer und schwer zu handhaben. Das Wasser schwappte über die niedrige Bordwand herein und drang durch unzählige feine Löcher in den Rumpf. Immer wieder musste ich die Richtung korrigieren und das Paddel zur Seite legen, um mit einer leeren Bohnendose Wasser zu schöpfen. Ich hatte zwei Touristinnen dabei, die Aron mitgebracht hatte. Die eine eher stämmig, die andere ängstlich und verkatert. Als Kraft und Geduld mich verließen, legte ich Flossen an, sprang über Bord und zog das Boot die letzten Meter über das Riff.
Nun sitze ich auf dem Oberdeck vor dem großen Holztisch und hinter mir liegt Aron in der Hängematte. Wir nennen ihn mittlerweile den Loco. Er spricht auf Englisch und Kuna und Spanisch und er behauptet auf eine religiöse Art mit Frauen zu kommunizieren. Heute Nacht will er die stämmigere besuchen. Gerade wird er lauter. Sein Handy funktioniert nicht recht, denn er hat keinen Empfang.
Von nun an läuft die Zeit rückwärts. Ich werde mehr erlebt haben als ich erleben werde und ich werde mit jedem Tag weiter zurückblicken und mich wundern, wo all die Augenblicke geblieben sind. In der Zukunft ist die Zeit nicht begreifbar und in der Gegenwart kann sie sehr langsam sein, aber in der Vergangenheit erscheint sie einem meist sehr schnell. Es liegt daran, dass man sie in Relation setzen kann.
Manchmal gibt es Tage, an denen ich denke, ich habe zugenommen und manchmal gibt es Tage, an denen ich denke, ich habe abgenommen, und alles in allem ist meine Haut deutlich brauner geworden. Ich verstehe Spanisch und die Art unser Schiff zu navigieren und nachts schlafe ich meistens durch.
Die Kehrseite dessen ist die Gewohnheit. Es erfordert Disziplin und Achtsamkeit sich klar zu machen, dass das, was ich gerade erlebe, etwas Unwiderbringliches ist. Die rostigen Wellblechdächer von Carti habe ich nun schon häufig gesehen und dennoch sind sie schön und bewundernswert und wichtig und am richtigen Fleck. Genauso der Regen und die Winde und der Mastkorb und die unzähligen Seile, die ich nun alle benennen kann und in denen herumzuklettern mir Freude bereitet. Die Pelikane fliegen immer noch gegen den Wind und tauchen auf ihre tölpelhafte Art nach Fisch, meine Finger sind wund wie immer und vielleicht werde ich auch die Brandblasen vermissen.
Gleichzeitig plagt mich das Heimweh.
Denn das anziehende am Meer ist die Sehnsucht. Es ist die Unerreichbarkeit des Horizonts, die einem manchmal das Herz zerspringen lässt, weil man weiß, dass man all das, was man dort sieht, niemals fassen kann. Es weckt einen Hunger, der durch nichts zu stillen ist. Ein Hunger nach Ferne und Heimat und nach Wind und Wellen und dem intensiven Kontakt mit dem Meer und dem Himmel, den man nur sehr selten erlebt, wenn die Gezeiten über einem zusammenschlagen und man sich allem, was um einen geschieht, bewusst ist.
Es ist gleich einem Magneten, der zwischen zwei Polen schwebt. Man verflucht die Gegenwart und gleichzeitig wünscht man sich nichts sehnlicher, als sich diese Gegenwart einzuverleiben und sie bis in die Ewigkeit zu dehnen.