2. Juli, Cartagena
Cartagena trägt den zweifelhaften Glanz einer Kolonialhauptstadt auf den Hüften. Wie der welke Busen einer rüstigen, aber unwillig alternden Diva, hängt sie an der Küste Bolivars. Architektonische Schönheits-OPs kratzen an der Substanz der Zeit. Klunkerbehangen und blumenbedufted.
An der historischen Mauer, die beinahe die gesamte Altstadt umgibt, hat sich schon so mancher Pirat die rumzerschlissenen Zähne ausgebissen. 1741 wehrte General Blas de Lezo eine englische Flotte von 186 Schiffen ab. Man nannte ihn den halben Mann. In verschiedenen Kämpfen zuvor hatte er bereits ein Auge, einen Arm und ein Bein verloren. In diesem letzten Kampf verlor er sein zweites Bein und starb wenig später.
Heute spielt an gleicher Stätte das Konzert des Reisetourismus: Straßenverkäufer, Schlepper, Hotels, Süßigkeiten, Edelboutiken und Plastikimitate. Auf den Plätzen: bunte, glitzernde Irgendwasse, die summend in die Luft fliegen und wieder aufgefangen werden. Wer das mag oder wer darüber hinweg sehen kann, findet wundervoll bouganvillebehangene Gässchen. Die Häuser tragen Pasteltöne. Die Kirchentüren sind zu den Messen weit geöffnet. Abseits des Tourismus werden die Farben intensiver. Die Menschen sind zurückhaltender, ärmlicher, ehrlicher. Auf dem Plaza Trinidad wird Sonntags Zumba getanzt. Sie zeigen dort auch Filme, auf einer selbstaufgestellten Großbildleinwand und mit rasselndem Ton. Clowns treten auf, Kinder schießen auf Skateboards durch die Gegend, Mütter, Väter, Jugendliche allen Alters, sobald die Sonne untergeht, ist jeden Abend Straßenfest.
Hinter der Brücke der Hafen: Yachten, Hotels, allabendliche Workout-Sessions der Betuchten. Am Wegesrand stehen Banos Caninos, viereckige, reich bepflanzte Sandkästen, die zwar nicht ihrem Zweck gemäß genutzt werden, aber ob ihres Nicht-Gebrauchs sehr schön anzusehen sind.
Ein paar Meter weiter liegt das Arbeiterviertel Manga, wo die Imbissbuden von Hand gezogen werden und endlich auf den Straßen Fußball gespielt wird. Die Musik dringt laut durch offene Fenster. Eine weiß getünchte, spärlich mit Graffiti beschmierte Mauer schottet das Viertel vom dahinter liegenden Containerterminal ab.
In meinen zehn Tagen in Cartagena verlasse ich, von den täglichen Einkäufen im Supermarkt abgesehen, nur zwei Mal das Schiff. Zu weit ist der Weg zwischen Boot und Mole. Zu müde die Augen, zu faul die Haut. Wir hämmern und schleifen den Rost aus den Wänden, streichen und ätzen den Dreck aus dem Deck, dann duschen wir und schwitzen die Metallsplitter aus unserer Haut. Meine Unterarme sind übersäuert, mein Bettlaken ist rostgefärbt.
Doch Cartagena ist auch von weitem schön anzusehen. Die welke Frau weiß sich zu betten.
Bei Nacht, wenn die Kräne im Containerterminal zu leuchten beginnen, wenn die Hochhäuser von Boccagrande Augen bekommen und die Partycruiser unter schmalziger Musik in die Sterne fahren. Dann liege ich auf dem Oberdeck auf einer blauen Matratze, die an meinem Körper klebt, eine Mütze über der Stirn gegen die Helligkeit, Kopfhörer in den Ohren gegen die Lautstärke und kann auf eine angenehme Weise nicht schlafen.