13 – Rio de Janeiro – Zurück im Complexo

Der Herr Konsul hat eingeladen. Er trägt einen schwarzen Anzug samt rosa Krawatte, hat Wurst und Kraut gemacht und das Licht in seinem Pool angestellt.
Der Garten ist voll mit Menschen, die Frozen Capirinha trinken und sich angeregt unterhalten. Die Damen tragen lange Kleider, einige der Herren Uniform. Jemand hält eine Rede. Auf der großen Terrasse links davon sieht man die Menschen Selfies machen.
Es ist der 2. Oktober, eine Nacht vor dem Tag Deutschen Einheit. Der Herr Konsul hat zu einer Olympischen Nacht geladen. Zum Eintritt bekommt man eine goldene Medaille aus Milchschokolade von hübschen Mädchen umgehängt, die Auffahrt ist im Stil einer Laufbahn gestaltet. Einige Sportler sind da, ein paar Sponsoren, viele Leute mit teuren Uhren an den Handgelenken, die leise rasseln, wenn man sie schüttelt.

Zum Tag der Deutschen Einheit bin ich zu einem Fußballspiel im Complexo do Alemão eingeladen. Da, wo kein Deutscher lebt, wo nie ein Deutscher gelebt hat. Den Namen verdankt der Complexo dem Morro do Alemão, dem Hügel um den sich die Favelas schmiegen. An dessen Fuß einst ein Pole lebte, der fälschlicherweise für einen Deutschen gehalten wurde.
Aber Alemão bedeutet hier ohnehin nicht mehr Deutscher. Es bedeutet „Eindringling“, „Fremder“, „Feind“, „Polizist“ – jedwede Form von Gegner. Warum, weiß niemand. Aber schon Cidinho und Doca sprachen vom Alemão in ihrem Rap das Armas, einem der wohl bekanntesten Lieder Rios nach der Garota do Ipanema: „Nois, com os Alemão, vamo se diverti.“ Wir und die Polizisten, wir werden Spaß haben. Sanfte Ironie.

Und hier soll also der Tag der Deutschen Einheit gefeiert werden. Weil es ein lustiges Wortspiel ist, ja. Aber auch, weil es eine Gegend ist, in die man sonst nicht kommt. Weil es Zona Norte ist. Weil die Menschen hier arm sind, und schwarz und gefährlich. So heißt es. Es besteht schon lange eine Mauer in den Köpfen der Menschen. Zwischen Zona Norte und Zona Sul, zwischen arm und reich, weiß und schwarz. Eine Mauer, die nicht sichtbar, aber dadurch nur umso schwerer überwindbar ist.

Ein Fußballspiel soll es geben, deutsches Essen und eine Mischung aus deutscher und brasilianischer Musik. Die Situation ist keine einfache. Just in der letzten Woche wurde ein Polizist bei dem Räumen einer Straßenbarrikade erschossen. Man hatte einige Zugänge versperrt, damit die Panzerwagen der Polizei nicht in den Complexo eindringen konnten. Jetzt ist ein Polizist gestorben und alle wissen was das heißt. 
Wir reisen mit der Teleférico an. Unsere Mannschaft besteht aus Journalisten, Bauunternehmern und Maklern. Deutsche eben. Vor dem Spiel muss das Feld mit Besen und Schippen von Wasser gereinigt werden, ein paar Hundehaufen werden weggekehrt. Das Spiel selbst verläuft glücklich. 12:12 nach vierzig Minuten, der Fußball an sich als Sieger.
Das anschließende deutsche Essen muss leider ausfallen, da keine Küche vor Ort ist, in der man kochen könnte. Dafür gibt es Bier, starken Caipirinha und irgendwann auch Samba. MC Gringo, der Organisator der Feier, greift sich das Mikro und singt, singt wie ein deutscher eben Samba singt, mit voller Inbrunst und Einsatz, was reichen muss, und was hoffentlich reicht.
Oben auf der Veranda der Teleférico stehen die Polizisten. Die gesamte Feier wird von der UPP überwacht. Sie stehen da, in Schutzwesten, Maschinengewehre auf dem Rücken, immer eine Hand am Revolver, zeigen nur selten eine Regung, Fremde hier. Alemães. 
Ich weiß nicht, was mich mehr beunruhigen soll: Die Menschen mit den Maschinengewehren, oder das scheinbar niemand Notiz von ihnen nimmt? Die Anwohner singen und tratschen, als ob nichts wäre. Niemand dort mit einer Waffe stehen würde. Unzählige Kinder tollen durch die Gegend, es gibt Fleischspieße, Bier und sehr fettige Pizza. Ein Billardtisch steht da, Luftballons fliegen in die Nacht, wo die Gondeln der Teleférico still an ihren Stahlseilen baumeln.
Es wird ein langer Abend, der mit einem schweren Schädel und Regen am nächsten Tag endet. Ich spüre meine Waden vom Fußball, und meine Schläfen, und meinen Hals vom lauten Reden. Ich werde gut von diesem Abend erzählen. Werde ein wenig prahlen, und dann werde ich mir das gemeinsame Foto der beiden Mannschaften nach dem Spiel ansehen und feststellen, dass zwei der Jungs, gegen die wir gespielt haben, ihre Hände vor der Brust zu einem C und einem V geformt haben. 
C und V stehen für Comando Vermelho. Das regierende Drogenkommando des Complexos.