14 – Panama City

9. August, Panama City

Die Mädchen auf den Straßen in Panama City pfeifen mir hinterher und wenn ich ihnen sage, dass ich deutscher bin, verziehen sie enttäuscht das Gesicht.
Panama City, Casco Viejo
Nachdem Henry Morgan das alte Panama City 1671 verheerend zerstörte, zog die Stadt von der Bucht des Rio Abajo hinauf auf eine kleine Anhöhe, den Cerro Ancon. Der neue Standort war zwar wirtschaftsstrategisch schlechter gelegen, ob seiner felsigen Riffe aber wesentlich leichter zu verteidigen. Bis zum Bau des Panama-Kanals spielte sich hier alles Leben ab. Dann kam das Geld und die Amerikaner und die Hochhäuser und Casco Viejo starb aus.
Heute wird es widerbelebt. Spekulanten schießen günstige Grundstücke, sanieren sie und verkaufen sie für teuer Geld. Die halbe panamäische Oberschicht ist hier angesiedelt; die Regierung, ein paar Botschaften, Menschen mit Geld und Macht, es gibt die Hostelszene, bunt und flippig, Gringos und Gringas, vergnügungssuchende Hipstertouristen, pancake-schaufelnde Halbtags-Aussteiger.
Und dann gibt es Straßen, in die man nur allzu leicht gelangt und allzu häufig schnell verlässt: leere Fassaden, dahinter Schutthalden, manchmal Schutthalden ohne Fassaden, manchmal Menschen die darin Leben. Hin und wieder leuchtend rote Claro-Antennen, für den guten Fernsehempfang, denn fernsehen ist wichtig. Überall Hunde. An den Kreuzungen stehen Soldaten, Jeeps rollen vorbei, Porsche, VW, die deutschen Marken, dazwischen Taxen, deren Unförmigkeit auf keinen Hersteller schließen lässt, in den Rinnsteinen wachsen Bäume.
Das Hostel, in dem ich lebe, ist eine Unverschämtheit an sich. Wohl gelegen, äußerst authentisch, Kolonialbau, eine Disko mit Bar im Außenbereich im unteren Stockwerk. Es ist vollgestopft mit beschriebenen Weltentdeckern, es gibt eine Happy Hour, in der das Bier besonders günstig ist, Szene-Balzveranstaltungen mit der immer gleichen, schlechten Elektromusik. Früher ist in dem Gebäude ein Waisenhaus für Greise gewesen.
Die Wände sind chìc heruntergekommen, imposante Farngewächse, ein weißer Fensterrahmen ohne Fenster für den individuellen Touch. Man muss genau hingucken, um die in den Beton eingearbeiteten Glasscherben auf der Brüstung zu erkennen, und den elektrisch geladenen Draht, der die wohlgestaltete Authenzität von der Außenwelt abschirmt.
Ich beschließe, die andere Seite der Mauer zu erkunden. Man soll dort nicht hingehen, hat man mir gesagt.
Gleich an der Ecke sitzen zwei Dunkelhäutige; sie schlafen im dürftigen Schatten eines abgerissenen Balkons, einer auf einem Fetzen Karton, der andere auf einem Autositz. Links ein nach Schimmel und Urin riechender Seitengang, Wäsche hängt zwischen den Wänden, der Beton ist grau, die Balkone nicht sicher, die provisorischen Wellblechdächer bis zur Durchsichtigkeit verrostet. Jemand ruft etwas, was ich nicht verstehe. Dann, daneben, ein Mann mit breiten Kiefer und einem Bier in der Hand: „My brother is the king of the world! The clothes are clean! Come here!“
Der Mann ist völlig betrunken. Eigentlich will ich nicht und dann gehe ich doch und plötzlich stehe ich in ihrem Hauseingang. Man reicht mir ein Bier und ich achte sehr genau auf jede Handlung, die darauf hinweisen könnte, dass man mich ausrauben will, bereit, bei jedem Gefühl von Schwindel, den Hauseingang zu verlassen. Wir reden eine Weile, der Betrunkene, sein Bruder, sein Vater und ich, ich spreche brüchiges Spanisch und Kuna, sie reden über Sex und deutsche Frauen und wollen die Gringas sehen. Dabei sind sie sehr gutherzig. Zwei Kinder, zwei Mädchen, wohnen im Haus, sie sind bezaubernd und sie lachen und sie wollen ein Foto mit mir machen, und wir machen ein Foto ich lache auch. Ich sage die Gringas sind außerordentlich blond und außerordentlich dumm und die Herren bekommen leuchtende Augen.
So geht es eine Weile, dann ist mein Bier leer und ich verabschiede mich. Als ich die Straße betrete, empfängt mich Musik. Sie ist schlecht und elektronisch und kommt von der anderen Seite der Mauer.
Für die folgende Nacht habe ich mich in einem anderen Hostel eingemietet. Ich möchte nicht mehr Pfannkuchen aus der Tüte essen, egal, wie viele es auch sind, ich möchte keine Elektromusik mehr hören und ich möchte auch keine neuen Facebookfreunde finden. Vor den Fenstern meiner neuen Unterkunft ist ein toller Bolzer.
Jeden Abend sitze ich vor einem kleinen Restaurant in der Calle 5 und trinke einen Rotwein. Ich lese ein Buch, genieße die Abendluft und fühle mich sehr intelligent. Ein älterer Herr sitzt stets einen Tisch weiter und er sieht immer sehr schön aus wie er dort sitzt: in seinem sauberem Hemd und den Leinenhosen und dem Weißwein und der Brille auf der Nase, durch die er die Online-Ausgaben verschiedener internationaler Zeitungen liest. Um ehrlich zu sein, versuche ich immer in seiner Nähe zu sitzen, denn seine bloße Anwesenheit genügt, um mich selbst ein Stück eleganter und intelligenter zu fühlen. An diesem Nachmittag habe ich mir ein Herz gefasst und ihn gefragt, ob wir für den kommenden Abend unseren Wein gemeinsam trinken wollen. Er ist verwundert und willigt ein.
Der ältere Herr ist Brite und wirklich ein feiner Herr. Seine Frau sitzt mit am Tisch, dazu zwei Deutsche, Sozialpädagogen aus Köln, mit dem Motorrad unterwegs. Ich trinke Rotwein, der Gastgeber und seine Frau Weißwein, dazu Wasser, die Deutschen Bier. Sie wohnen in dem Hotel über dem Restaurant, das zu dem Restaurant gehört.
Nach und nach stellt sich heraus, das dem älteren Herren nicht nur das Restaurant vor dem wir sitzen gehört, ihm gehört auch das Restaurant daneben und die Bar daneben und gegenüber hat er ein Haus für seine Familie gekauft und dahinter befindet sich ein weiteres Restaurant in seinem Besitz.
Er erzählt das nebenbei, auf eine Weise, die nicht aufdringlich ist, sondern sachlich, und viel mehr interessiert ihn, was die Deutschen machen und er berichtet von seiner Katze, von der er glaubt, dass sie nach einem Sturz vom Balkon gehandicapt ist, und ob die Deutschen sie nicht mit ihrer Ausbildung unterrichten könnten.
Ich bin ein wenig enttäuscht, dass ihn meine Arbeit auf der Stahlratte nicht groß beeindruckt, dann erfahre ich, dass er selbst lange Zeit Kapitän war, und für ein paar Tage in chinesischer Gefangenschaft, weil man ihn und seine Crew für Spione aus dem Westen gehalten hatte, die mutwillig ihr Hafenbecken verschmutzten (einer seiner Kollegen war dabei erwischt worden, wie er eine Zigarettenkippe ins Wasser geschnippst hatte). Drei Tage waren sie zu neunt in eine Zelle gesperrt worden, alle zwei Stunden Rapport, durchgängig von Lautsprechern beschallt, durch die englischsprachige Schmähungen gegen sie und den Westen drangen.
Heute ist der feine kein Kapitän mehr, er arbeitet als Manager für die Hutchison Portholdings, die mit dreißigtausend Mitarbeitern dreiundfünfzig Häfen in sechsunddreißig Ländern betreuen, und der Zufall wollte es, dass er bei einem Dinner in Shanghai auf einen eben jener chinesischer Shouter traf, die ihn damals im Gefängnis so beleidigt hatten. Der Chinese war damals ein junger Mann gewesen und des Englischen kundig, was eine Seltenheit war, und nach seinem Shouter-Job hatte er eine rasante Karriere im chinesischen Kommunismus gemacht. Auf die Frage, ob er sich nicht schlecht fühle wegen damals, soll er laut dem feinen Herren sein Glas gehoben und feierlich geantwortet haben: „That were the rules at that time and these are the rules now.“ Und dann hätten sie angestoßen.
Der feine Herr ist Commander of the Britsh Empire, also wirklich ein feiner Herr, er ist ein guter Freund von Maggie Thatcher, der Orden wurde ihm von der Queen verliehen, es ist die letzte Ordensstufe vor dem Knight. Das alles erzählt der feine Herr so, als sei er Mitglied in einem Tennisclub, was sicher eine tolle Sache, aber nicht unbedingt der großen Worte wert ist.
Die Frau des feinen Herren bestellt Hähnchen mit Pommes und Rinderrücken, dazu Brokkoli und Humus. Seit ihr Mann die Rastaurants gekauft hat, hat sei ihren Job als Anwältin für den panamäischen Präsidenten niedergelegt und tritt als Managerin für die Restaurants ein.
Das Restaurant ist wirklich schön gelegen. Menschen flanieren vorbei, die Skyline hinter der Bucht, die Veranda ist angnehm beleuchtet, eine leichte Brise weht. Als es spät wird, verabschiedet sich der feine Herr und verschwindet mit seiner Frau in der Nacht.
Ich bleibe mit den Deutschen eine Weile sitzen. Wir bestellen noch ein Bier, das uns helfen soll, diese Begegnung zu verdauen, und beschließen, uns hoch auf die Dachterrasse setzen, von der aus man ein sensationelle Aussicht über die Stadt haben soll.
Als wir zahlen wollen, erklärt der Kellner, die Rechnung für den Abend sei schon beglichen.
Ja, auch für das, was wir jetzt noch bestellen würden.
Als wir auf der Dachterrasse sitzen, denke ich an mein Bier, dass ich nur ein paar Stunden zuvor mit dem betrunkenen Panameňo getrunken habe, und ich frage mich, warum diese Stadt nicht einfach implodiert. Schräg zu unseren Füßen liegt das Hostel mit der schlechten elektronischen Musik.
Und wenn sich irgendwo heute Nacht ein Blitz entzündet, wird es morgen wieder Pancakes geben.